Friedensnobelpreis 1996: Carlos Felipe Ximénes Belo — José Ramos-Horta

Friedensnobelpreis 1996: Carlos Felipe Ximénes Belo — José Ramos-Horta
Friedensnobelpreis 1996: Carlos Felipe Ximénes Belo — José Ramos-Horta
 
Die beiden Osttimorer wurden fürihr unerschrockenes Eintreten für die Menschenrechte in ihrem Landausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Carlos Felipe Ximénes Belo, * Baucau (Ost-Timor) 3. 2. 1948; katholischer Theologe und Menschenrechtler; 1968-81 Studium in Lissabon, Macau und Rom, 1981 Priesterweihe, 1983 Apostolischer Administrator der osttimorischen Diözese Dili, 1988 Bischofsweihe.
 
José Ramos-Horta, * Dili (Ost-Timor) 26. 12. 1949; Politiker und Journalist; seit der Jugend Anhänger der osttimorischen Unabhängigkeitsbewegung FRETILIN, 1975 Außen- und Informationsminister der Demokratischen Republik Ost-Timor, seit 1975 als Sprecher des Nationalrats des osttimorischen Widerstands und Dozent im Exil (USA, Australien).
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die Republik Indonesien ist nicht nur ein Inselreich mit rund 14 000 Inseln, sondern auch ein typischer Vielvölkerstaat, in dem man insgesamt etwa 360 Ethnien zählt. Der offizielle Leitspruch der Republik lautet demnach folgerichtig »Bhinneka tunggal ika« — »Einheit in der Verschiedenartigkeit«. Diese so beschworene Einheit konnte freilich in den vergangenen Jahrzehnten meist nur durch eine autoritäre Herrschaft bewahrt werden, denn auf vielen indonesischen Inseln schwelen bis heute ethnische, religiöse und soziale Konflikte, die immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen führen.
 
Wie in anderen Ländern der Dritten Welt sind diese Konflikte in erster Linie ein Erbe aus der Zeit der Kolonialherrschaft, während der auf der einen Seite völlig verschiedene Länder und Völker gewaltsam vereinigt, auf der anderen Seite aber auch durch von den Kolonialherren willkürlich gezogene Grenzen zerschnitten wurden. Timor, die größte der Kleinen Sundainseln, war beispielsweise seit dem 16./17. Jahrhundert in die von den Portugiesen besetzte Osthälfte und die Westhälfte unter niederländischer Herrschaft geteilt. Der niederländische Westteil wurde 1949/50 der Republik Indonesien angegliedert, Portugiesisch-Timor (Ost-Timor) gehörte dagegen bis 1975 zum portugiesischen Kolonialreich.
 
 Ein vergessenes Volk
 
Die jahrhundertelange Fremdherrschaft und die Teilung der Insel hat in ihrer Bevölkerung tiefe Spuren hinterlassen. Im Unterschied zu Westtimor mit ihren wie im übrigen Indonesien vorwiegend muslimischen Einwohnern bekennen sich die meisten Osttimorer zum römisch-katholischen Glauben. Auch kulturell gibt es noch manche Brücken zum früheren »Mutterland«, besonders innerhalb der osttimorischen Elite, die oft in Portugal studiert hat. Gerade aus dieser Schicht stammen jedoch viele der Politiker, die in den letzten Jahrzehnten der Kolonialherrschaft die Unabhängigkeit ihres Landes forderten und sich in den 1970er-Jahren zur FRETILIN, der »Revolutionären Front für ein unabhängiges Ost-Timor«, zusammenschlossen. Nach dem Sturz der Diktatur in Portugal (1974) konnten sie ihre Forderungen durchsetzen und Ende November 1975 die unab-hängige »Demokratische Republik Ost-Timor« ausrufen, allerdings nur für wenige Tage, denn die indonesische Regierung nutzte die Gelegenheit, ließ im Dezember 1975 Truppen in die Osthälfte der Insel einmarschieren und verleibte sie wenig später formell der Republik Indonesien ein.
 
Mit dem Tag der Besetzung begann für die Osttimorer eine Leidenszeit. Man schätzt, dass etwa ein Drittel der Einwohner Ost-Timors, 200 000 bis 300 000 Menschen, durch Waffengewalt, Hunger und Krankheiten ums Leben kamen. Die übrigen wurden enteignet und durch die »Transmigrasi«, ein staatliches Umsiedlungsprogramm, das Siedler aus anderen Teilen Indonesiens nach Timor brachte, von ihren Arbeitsplätzen verdrängt. Die UNO verurteilte die Besetzung Ost-Timors und forderte den Rückzug der indonesischen Truppen, verhängte jedoch keine Wirtschaftssanktionen gegen Indonesien, vor allem weil die Industriestaaten davon nachteilige Rückwirkungen auf ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen in der Region befürchteten.
 
 Symbolfiguren des Widerstands
 
So von der Welt allein gelassen, hatten die Osttimorer kaum eine Chance, sich gegen die Gräueltaten der Besatzer zur Wehr zu setzen. Die FRETILIN leistete zwar Widerstand, konnte den Terror jedoch nicht beenden. José Ramos-Horta, Sohn eines Portugiesen, der in Portugal gegen das Salazar-Regime gekämpft hatte und dafür in die frühere Kolonie Portugiesisch-Timor verbannt worden war, ging einen anderen Weg: Er verließ die Insel kurz nach der Besetzung und versuchte im australischen Exil als »Auslandskoordinator« der FRETILIN, als eine der beiden wichtigsten »Stimmen eines vergessenen Volkes«, die Welt auf das Schicksal seiner Landsleute aufmerksam zu machen.
 
Als Carlos Felipe Ximénes Belo, die zweite Symbolfigur des Widerstands, nach dem Studium im Ausland auf seine Heimatinsel zurückkehrte, dauerte die Unterdrückung bereits einige Jahre. Er beschränkte sich zunächst strikt auf seine Aufgaben als Seelsorger, hielt sich von der Politik fern, wurde dann aber doch zum gewaltlosen Widerstandskämpfer, der sich für die Menschenrechte und die Freiheit der Osttimorer einsetzte. Den letzten Anstoß gab ein Massaker, das indonesische Truppen am 12. November 1991 in der Hauptstadt Dili während einer Trauerfeier unter jungen Leuten anrichteten. Hunderte suchten damals in der Bischofsresidenz Schutz, viele Verletzte starben dort, und Bischof Belo fand später ihre Leichen.
 
 Silberstreifen am Horizont
 
Seit dem Massaker von Dili hat sich in Indonesien und in Ost-Timor einiges verändert: Die Bilder von dem Massenmord gingen durch die westlichen Medien und machten die Weltöffentlichkeit auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam, der politische und wirtschaftliche Druck auf die Führung der Republik Indonesien verstärkte sich und zwang sie zu Verhandlungen über die Zukunft Ost-Timors, vor allem nach dem Umbruch von 1997/98 in Indonesien selbst.
 
Bei einem unter Aufsicht der von der UNO beauftragten »United Nations Mission in East Timor« (UNAMET) am 30. August 1999 durchgeführten Volksentscheid entschieden sich die Osttimorer mit überwältigender Mehrheit gegen den Plan, die östliche Inselhälfte als autonome Region in der Republik zu belassen, und forderten stattdessen völlige Unabhängigkeit. Nach dem Referendum verübten proindonesische Milizen gemeinsam mit regulären indonesischen Streitkräften weitere Gewalttaten, die von der multinationalen Friedenstruppe INTERFET nur mühsam gestoppt werden konnten.
 
Im Oktober 1999 erkannte das indonesische Parlament schließlich das Ergebnis des Volksentscheids an. Bereits im September 2000 hat eine osttimorische Mannschaft an den Olympischen Spielen in Sydney teilgenommen, dort wo sich in den Jahren der Unterdrückung José Ramos-Horta als Sprecher der osttimorischen Freiheitsbewegung für die Rechte seiner Landsleute einsetzte. Im Herbst 2001 fanden in Ost-Timor freie Parlamentsahlen als Voraussetzung für die völlige Unabhängigkeit statt. Im April 2004 wurde Führer der Unabhängigkeitsbewegung, Xanana Gusmao, zum ersten Staatspräsidenten gewählt. Am 20. Mai 2002 erlangte Ost-Timor die völlige Unabhängigkeit.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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